Umgang mit Angst in Zeiten der Corona Pandemie

Umgang mit Angst in Zeiten der Corona Pandemie

Corona Pandemie: Ängste und Bewältigungsstrategien

Das Besondere in der letzten Zeit ist, dass wir sowohl individuell bedingte als auch gleichzeitig kollektive Ängste haben. Beide sind miteinander vermittelt und verbunden. Bei einer individuellen Angst kann man durchaus auf ein Umfeld stoßen, was sich sicherer fühlt. Dann nimmt man diese Beruhigung mit und kann seine eigene Angst besser regulieren. Wenn jedoch auch das Umfeld verschiedene Ängste entwickelt, dann kann sich das eigene Angsterleben verstärken.

Formen der Angst

Von neurotischen Ängsten spricht man, wenn das Angsterleben unangemessen zur tatsächlich bestehenden Gefahr ist. Klassische Beispiele sind dafür z.B. die Angst aus dem Haus zu gehen, Angst Auto zu fahren, soziale Ängste, -vage Zukunftsängste, o.ä. etc. Solche Ängste können reale Gründe haben oder aber auch imaginierte.

Eine biologische, durchaus gerechtfertigte sinnvolle Angst entsteht angesichts einer bedrohlichen Situation. Mit dem Abklingen der bedrohlichen Situation gelangt man wieder in einen angstfreien Zustand und beruhigt man sich wieder. Bei einer neurotischen Angst dagegen bleiben Angstgefühle und Symptome trotz des Nachlassens der evtl. realen Gefahr. Eine emotionale Rolle spielt dabei die kognitive Einschätzung der Gefahr, die  handlungsleitend wirken kann.

Angst selbst ist entwicklungsgeschichtlich sehr tief in uns verankert. Es war vor Urzeiten überlebenswichtig, dass unsere Vorfahren sich schnell an Aspekte von riskanten, angstauslösenden Situationen erinnern konnten, um Gefahren zu entkommen. Die Entwicklung von Technik und Kultur trägt dazu bei, dass Ängste vor Gefahren besser und effektiver bewältigt werden können. Das ist schon der Fall bei unserer Vergesellschaftung. Zum Beispiel kann man  das nachvollziehen, wenn man sich vergegenwärtigt , wie sinnvoll es ist, dass ein Kind schnell lernt, dass eine eingeschaltete Herdplatte heiß ist, dass man sich da die Finger verbrennen kann.

 Wir entwickeln dennoch auch Ängste, wenn Beziehungspersonen sich uns gegenüber ablehnend, übergriffig, gewalttätig etc. verhalten haben. Da Kinder sehr auf ihre Beziehungspersonen angewiesen sind, entwickeln sich natürlich  Ängste schon im Kindesalter Fühlt ein Kind sich zurückgewiesen, so kann es nicht einfach sagen: „Mama/Papa hat schlechte Laune und das ist ja gar nicht so ernst gemeint. “ Vielmehr tendiert ein Kind  zu glauben, dass es nichts wert sei, dass es den Eltern eine Last sei und dergleichen mehr.

Ein möglicher Effekt dieser Ängste können Selbstzweifel, der vertiefte Glauben an die eigene Wertlosigkeit und das Fehlen von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen sein. Manchmal sind diese Ängste so schwer zu ertragen, dass es leichter erscheint, Angst vor dem Verlassen der Wohnung zu haben, statt sich einzugestehen, dass man voller Selbstzweifel ist. „Solange ich nicht außerhalb meines Hauses bin, bin ich sicher!“ kann dann der irregeleitete Glaubenssatz sein, mit dem man versucht, sich ein Rest der Kontrolle und dem Abstand zur Angst zu halten. Das wäre dann die neurotische Angst von der anfangs die Rede war.

Angst zu Zeiten der Corona Pandemie

In den aktuellen Zeiten haben wir nun mit einer Mischung von individuellen und kollektiven Ängsten zu tun. Sie gehen aus realen Bedrohungen hervor oder aber auch werden von ihnen akzentuiert. Gleichzeitig stehen wir einer unsicheren und sich verändernden Zukunft gegenüber. Oft höre ich den Satz: „Und nachher wird es nicht mehr so sein wie vorher!“ Von vielen Seiten wird gesagt, dass wir etwas erleben, was in Deutschland Menschen seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt haben. Es wird viel  ständig von Umbruch und Neuorientierung gesprochen. Insofern sind wir vielleicht wirklich in der besonderen Situation, Zeitzeugen einer solchen großen Veränderung zu werden.

Aber wie ist es mittendrin zu sein? Das löst natürlich Ängste, Verunsicherung, Instabilität und Stress aus. Wie gehen wir damit um und finden gleichzeitig einen guten Weg in das Neue? Unsere besondere Ausgangssituation ist, dass es reale Bedrohungsszenarien gibt, Ungewissheiten und ein auch um uns herum alarmiertes Umfeld, das mit der gleichen Ausgangssituation an jeweils unterschiedlichen Positionen umgehen muss. In gewisser Weise befinden wir uns in einem fast weltweiten Experiment.

An dieser Stelle möchte ich den „neurotischen Angstmechanismus“, den ich eingangs erwähnte, für einen Augenblick beiseite stellen und darauf fokussieren, wie man mit Angst und Furchtgefühlen in dieser instabilen, ungewissen Zeit umgehen kann.

Umgangsstrategien mit Angst

Der Ausgangspunkt ist, dass „Angst haben“ normal ist. Und dass Menschen sehr unterschiedlich mit ihren Angstgefühlen umgehen. Eine Strategie ist es, sich diesen Angstgefühlen und Angstszenarien im eigenen Kopf zu unterwerfen. In diesem Fall glaubt man, dass das, was man sich gerade vorstellt,  dann auch so eintreffen wird. Hier gerät man in eine Opferposition. Oftmals sind die Fantasien, dessen, was eintreffen könnte, so stark und lösen so viel Lähmung aus, dass man glaubt, keinen Ausweg finden zu können. Das ist unterm Strich eine sehr stressreiche Position.

Eine andere Möglichkeit besteht darin zu vermeiden, die Angstgefühle wahrzunehmen. Mit Ablenkung, Distanzierung, Betäubung, die eigenen Ängste nicht wahrzunehmen, kann das auch gelingen. Würde ich also sehr intellektuell über potentielle Angstphantasien reden oder vermehrt zu Alkohol und Drogen greifen oder mich komplett in die Arbeit stürzen, ohne mich noch wahrzunehmen, sind das sichtbare Verhaltensweisen der Vermeidung, sich mit den eigenen Ängste auseinanderzusetzen, die im Grunde auf der Selbstdistanzierung basiert.

Eine dritte Möglichkeit besteht in der Revolte oder dem Kampf gegen die Angst. Glaubenssätze wie:“ Angst ist doch nur was für Weicheier, nicht für mich!“, „Es ist nur die Frage meines Willens, ob ich Angst habe oder nicht!“ spiegeln einen solchen überkompensierenden Umgang mit der Angst wider. In dem Fall könnte man glauben, dass nur das richtige Motivationstraining einen von der Angst befreit.

Ich habe hier also drei verschiedene grundsätzliche Umgangsformen mit der Angst benannt:

1. den sich unterwerfenden,

2. den vermeidenden oder den sich selbstdistanzierenden und

3. den überkompensierenden-revoltierenden Modus.

Diese drei Modi sind wie Hauptstraßen  des Umgangs mit den Angstgefühlen. Schaut man sich die Modi an, so haben sie ja allesamt ihre hilfreichen Aspekte sowie ihre Schattenseiten. Vor allem in dem Augenblick, wo man hauptsächlich nur einen Modus nutzt, beschränkt man sich. Eine länger andauernde Beschränkung führt zur Einengung des eigenen Gestaltungs- und Wirkungsraums.

Umgang mit Angst in der aktuellen Situation

Vor diesem Hintergrund würde ich gerne der Frage nachgehen, wie man in dieser aktuellen Situation mit Ängsten umgehen kann.  Diese Ängste entstammen verschiedenen Kategorien. So sind sie zum Teil  eine realistische Antwort auf erlebte Bedrohungen, aber auch die Resonanz biografischer Verletzungen  und sind mit beeinflusst durch ein Umfeld, das ebenso Ängste, Verunsicherung und Instabilitäten erlebt. Die Ängste, die aus diesen verschiedenen Kategorien entstehen sind nicht immer trennscharf voneinander zu unterscheiden sondern können durchaus auch noch Wechselwirkungen untereinander hervorrufen.

Mein Anliegen ist nicht, Ihnen ein Kochrezept in die Hand zu drücken, mit dem Sie sicher durch diese Zeit kommen. Vielmehr geht es mir darum, Ihnen  Orientierungspunkte aufzuzeigen, die Ihnen ermöglichen, einen individuellen Umgang mit den Ängsten auf Ihrem persönlichen Weg zu finden! So können Sie freier auftreten, ihr Leben selbstbestimmter gestalten.

Seine Angst erforschen, um sie zu überwinden

Als ersten Schritt dahin möchte ich Sie einladen, sich Ihre Ängste anzuschauen und zu erforschen. Recht hilfreich ist es, dies auch wirklich bildhaft zu tun. Daher meine Frage: Ist es eine große, eine kleine Angst, sind es vielleicht verschiedene Ängste? Für manche Menschen ist es ganz hilfreich sich Zettel zu machen und aufzuschreiben oder vielleicht auch aufzumalen: z. B.: die Angst vor Arbeitsplatzverlust, vor Krankheit, vor dem Sterben, vor dem Nichts zu stehen, usw.

Manchmal ist es gar nicht so leicht, die Angst oder die Ängste zu benennen. Je schwieriger und diffuser die Angstgefühle sind, umso mehr können Sie auch in frühkindlichen Erlebnissen und verallgemeinerten Lebensgefühlen begründet sein. Idealerweise kommt bei der Erfragung und Konkretisierung der eigenen Ängste ein differenziertes Bild heraus.  Man kann dabei reale Ängste ausmachen (der Arbeitsplatz ist wirklich gefährdet) und bereits aus der eigenen Biografie bekannte Ängste (ich traue mir nicht zu, das zu schaffen, ich stehe dann ja wieder vor dem Abgrund) und die durch das Umfeld bedingten Ängste (jeder meiner Freunde spricht davon, es ist in aller Munde) erkennen.

Vielleicht erkennt man auch, dass man vor etwas gar nicht so viel Angst hat, wie man vorab gedacht hat. Vielleicht steht ja auch eine von früher her bekannte Angst im Hintergrund und befeuert die realen aktuellen Ängste. Kann man aber den Angstantreiber des Hintergrundes beiseite stellen, sind vielleicht die vordergründigen Ängste gar nicht mehr so bedrängend. Erstaunlicherweise verlieren oftmals Ängste ihre magisch erschreckende Wirkung, wenn man sich sie genauer anschaut und erforscht. Hilfreich ist dabei die Frage: „Was genau macht mir so eine Angst?“

Angstphantasien konkretisieren

Hierbei geht es um die sehr punktgenaue Konkretisierung der Angst. Solange man nicht genau  auf kognitiver, emotionaler Ebene mit den assoziativ,  unbewussten Verbindungen z. B. zur eigenen Biographie  erkennt, was einem Angst macht, bleibt man im „diffusen“ Angstmoment stecken. Es ist vergleichbar mit einer Wiederholungsschleife einer zerkratzten Schallplatte. Man gerät in einen Endlosloop von negativen und beängstigenden Bildern. Das psychische System wird hochgradig gestresst. Das wirkt sich natürlich auf Denken, Fühlen und Körperempfindungen aus. In einer solchen Schleife kann man nur von sich glauben, dass man wehrlos ist, es nicht schafft, sich in Ohnmachtsgefühlen verlieren. In dem Augenblick, wo dieser angehaltene Moment weiterlaufen kann, verändern sich auch Gedanken, Selbsteinschätzungen und man kommt in die Handlungsfähigkeit.

Oft ist es hilfreich,  einen solchen Prozess in einen therapeutischen Setting zu durchlaufen. Bildlich gesprochen könnte man sagen, dass ein unverdaulich erscheinendes Essen in kleinen Portionen durchaus verdaut werden kann. Wenn Sie also beginnen, Ihre Angst zu erforschen, gehen Sie auch immer wieder in die Distanz zu der Angst. Sie erleben Ihre Gefühle, sind aber nicht Ihren Gefühlen ausgeliefert. Schafft man einen akzeptierenden Umgang mit der Angst, in dem man sich z. B. mit ihr unterhält, statt sie wegzujagen, fällt die Angst vor der Angst fort. Das ist ein entspannender Moment. Allmählich beginnt die Angst ihren bedrohlich-lähmenden Charakter und ihre unbewusst wirkenden motivationalen Aspekte einzubüßen oder zu mindestens erheblich zu reduzieren. Gleichzeitig haben Sie als Mensch Stärke gewonnen, und können besser in die Richtung steuern, in die Sie möchten.

Sie sollten jetzt an einer Stelle sein, wo Sie einen klaren Kopf behalten können, auch wenn Sie zwischendrin Angsterleben spüren, Sie vielleicht sogar Momente erleben, wo die Angst Sie schüttelt. Vielleicht sind Sie aber auch durch diesen Prozess an eine Stelle gekommen, wo Sie merken, dass das Angsterleben unwichtig geworden ist und Sie stattdessen in einen Modus von „mit guter Kraft voraus“ ,  „die Chancen nutzen“ oder „geschickt von Klippe zu Klippe springend“ wechseln. In diesen Phasen geht es darum, dass Sie sich vergegenwärtigen, wie Sie mit der krisenhaften Situation umgehen möchten. Sie können dies mit einer gewissen Geschmeidigkeit und Situationsangepasstheit tun. Vielleicht manchmal mehr vom Kopf bestimmt, manchmal vielmehr aus der Intuition. Wichtig ist dabei, dass Sie in einem lebendigen Fluss sind.

Die Orientierungspunkte des Umgangs mit der Angst, die ich Ihnen hier nahegelegt habe, sind methodisch in dem dialogisch-ressourcen orientierten Vorgehen der Gestalttherapie begründet. Die methodischen Schwerpunkte dabei sind:

  • Wahrnehmen,
  • Akzeptanz,
  • Dialog,
  • Ich-Stärkung,
  • neue Handlungsweisen finden und erproben.

In einem gestalttherapeutischen Prozess gelten diese Schwerpunkte wie Orientierungen auf einer Landkarte. Wie Sie jedoch diese einzelnen Phasen durchlaufen, ist eng an Ihre Bedürfnisse und Ihren persönlichen Weg gebunden. Auf diese Art und Weise werden individuelle und damit zumeist sehr effektive Umgangsstrategien entwickelt.

Ich hoffe, dass dieser kleine Ausblick auf die komplexen Entstehungsbedingungen von Angst und die Möglichkeit der Angsterforschung Ihnen bei der nächsten Begegnung mit Angst den Rücken stärken, so dass Sie vielleicht einen Augenblick innehalten können ohne gleich so zu reagieren, wie Sie es bisher gewohnt waren.